Aus der Konferenz „Während und nach Corona: Digitale Lehre in der Germanistik“ ist ein Konsenspapier „Das brauchen wir: 8 Anforderungen an die zukünftige Lehre in der Germanistik“ hervorgegangen, das knapp fünfzig Erstunterzeichner*innen gefunden hat und zur weiteren Unterzeichnung bereitsteht. Ich werde das Papier im Folgenden dokumentieren, es kann jedoch auf der Konferenzseite selbst unterzeichnet werden. Die Produktion dieses Textes entsprach übrigens selbst den Gepflogenheiten kollaborativer digitaler Schreibprozesse, in deren Verlauf verschiedene Soziale Medien, Plattformen und Tools genutzt wurden:
- Auf dem Sozialen Medium Twitter organisiert sich im März 2020 eine vierzigköpfige Interessengruppe von Germanist*innen zum Aufbau einer digitalen Plattform zur digitalen Lehre;
- dieses Portal „Digitale Lehre Germanistik“ wird auf der Plattform des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel von einer 24-köpfigen Gruppe realisiert;
- eine fünfköpfige Teilgruppe verfasst kollaborativ in einem GoogleDoc Vorschläge für eine konstruktive Selbstreflexion der digitale Lehren innerhalb der Germanistik, das am 2. April 2020 veröffentlicht wird;
- im laufenden ‚Corona-Semester‘ wird der Austausch auf Twitter und auf der Plattform fortgeführt, es entsteht der Wunsch, eine digitale Konferenz zur Selbstreflexion zu organisieren; dazu gibt es am 10. Juni 2020 ein erstes Gespräch via Skype, es formiert sich ein siebenköpfiges Orga-Team;
- der Call for Papers wird über zahlreiche digitale Kanäle wie dem DHd-Blog, e-teaching.org oder dem idw-Info öffentlich gemacht, die Abstracts werden auf der Plattform gesammelt und begutachtet;
- in einem Webex-Meeting werden die Beiträge ausgewählt und das Konferenzprogramm aufgestellt;
- die Konferenz findet am 25. und 26. August 2020 ebenfalls über Webex statt, insgesamt sind zweihundert Teilnehmer*innen im Tagungsverlauf präsent, es entstehen Videos der Beiträge, Chatverläufe mit vielen Diskussionen und Hinweisen, zahlreiche Tweets auf Twitter;
- schon während der Konferenz entsteht die Idee, gemeinsam ein Konsenspapier zu verfassen; dazu beteiligen sich 31 Konferenzteilnehmer*innen an einem Etherpad, ein vierköpfiges Redaktionsteam bündelt diese Vorschläge in einem weiteren Etherpad, das nach einem weiteren Lektorat und zusätzlicher Reflexion durch das Orga-Team schließlich auf der Plattform veröffentlicht wird.
Das brauchen wir: 8 Anforderungen an die zukünftige Lehre in der Germanistik
Die universitäre Lehre musste im Verlaufe des Jahres 2020 zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf rein digitale Lehrformen umgestellt werden. In diesem Zusammenhang wurde im April 2020 das Austausch- und Wissensportal „Digitale Lehre Germanistik“ aufgebaut.
Am 25. und 26. August kamen 200 Germanist*innen aus vier Kontinenten auf der digitalen Konferenz „Während und nach Corona. Digitale Lehre in der Germanistik“ zusammen. Das Ziel war, gemeinsam die während des digitalen ‚Corona-Semesters‘ gemachten Erfahrungen zu reflektieren und für die hochschuldidaktische Weiterentwicklung der Germanistik fruchtbar zu machen. Das Corona-Semester eignet sich als Brennglas für Probleme der Lehre auch in der Zeit vor Corona und ermöglicht ein besseres Verständnis der zukünftigen Herausforderungen.
Wir empfehlen hiermit den (hochschul-)politischen Entscheidungsträger*innen sowie allen in der germanistischen Lehre Tätigen:
1. Den Wandel der germanistischen Lehre ernst nehmen!
Im Zeichen des ‘shift from teaching to learning’ entwickelt sich die akademische Lehre zusehends weg von Formen einer frontalen Inhaltsvermittlung hin zum Blended Learning sowie zur Kompetenzorientierung und zur Individualisierung von Lernwegen und Betreuung.
2. Präsent oder digital? Präsent und digital!
Das Corona-Semester hat deutlich gemacht, wie unangemessen die bloße Gegenüberstellung von präsent und digital ist. Das wird weder der Realität an den Universitäten vor Corona noch den Herausforderungen der Zukunft gerecht. Unser Ziel ist die bestmögliche Verbindung von präsenten und digitalen Lehr-/Lernphasen und -elementen in der germanistischen Lehre.
3. Über den Wochenrhythmus der Lehre hinausdenken!
Asynchrone Vermittlungsformate bieten eine Flexibilisierung des Studiums (z. B. für Studierende mit Betreuungsaufgaben und Nebenjobs) und können gewinnbringend mit synchronen Elementen (auf dem Campus oder in Formen digitaler Präsenz) kombiniert werden. Diese Flexibilisierung muss bei Deputatsberechnungen berücksichtigt werden, um Überbelastungen zu verhindern.
4. Schreiben Lehren/Lernen geht auch digital
Es gibt eine große Vielfalt an digitalen Tools und Blended Learning-Szenarien, die Lehrende bei der Organisation von Schreibübungen und Studierende beim Erwerb von grundlegenden Lese- und Schreibkompetenzen unterstützen.
5. Digitale Lehre ermöglicht neue Formen der Kooperation
Studierende können sich im digitalen Transformationsprozess stärker in den Prozess der Lehrkonzeption einbringen. Digitale Lernräume bieten vielfältige Möglichkeiten für die Studierenden, um eigenständig (miteinander) zu arbeiten und mit den Lehrenden zu interagieren.
6. Offenheit der Materialien und Datensouveränität sind fundamental
Lehre in der Germanistik erfordert den Open Access-Zugriff auf Medien und Open Educational Resources. Zudem muss die Datensouveränität der Nutzer*innen, insbesondere auf kommerziellen Plattformen, gewährleistet werden.
7. Digitale Lehre ist kein Sparmodell
Viele Studierende und Lehrende haben im Corona-Semester Stress und Überlastung erfahren. Digitalisierung muss nachhaltig vorbereitet und kritisch begleitet werden. Sie bedarf personeller wie infrastruktureller Ressourcen, um die gewünschten Effekte zu erzielen und egalitäre Bildungschancen herzustellen.
8. Wissen über die digitale (Lehre in der) Germanistik weiterentwickeln
Wir benötigen noch mehr dokumentiertes Wissen und Austauschmöglichkeiten zur digitalen Lehre: über neue Best Practices (z.B. der kollaborativen Textbearbeitung), über Tools und Lernplattformen, über die notwendige Digital Literacy der Studierenden und über die Rolle der Germanistik in der digital vernetzten Gesellschaft.
Wir haben diese acht Punkte als Konsens aus der Konferenz „Während und nach Corona. Digitale Lehre in der Germanistik“ destilliert. Sie richten sich als Empfehlungen an alle in der germanistischen Lehre Tätigen sowie an (hochschul-)politische Entscheidungsträger*innen und sollen die Grundlage zukünftiger Diskussionen um Strukturen, Bedingungen und Finanzierungsmodelle der Lehre in der Germanistik werden (das betrifft Workloads, Kontaktzeiten, Ausstattung etc.).
Auf der Webseite der Konferenz finden Sie zeitnah auch die Vorträge und Chatverläufe der Konferenz, die viele dieser Punkte konkretisieren. Damit soll auch der Auftakt für weitere Diskussionen in der germanistischen Fachcommunity gemacht werden, die uns helfen werden, mittel- und langfristig weitere Modelle einer besseren Lehrpraxis zu etablieren.