Tag Archives: Internet

In eigener Sache: Konferenzberichte ‚Collective Creativity’ (Sydney), ‚Das Ruhrgebiet als Rhizom’ (Bochum) und ‚Goethes Pagerank’ (Göttingen)

In den letzten Monaten war ich wieder viel unterwegs und habe auf einigen Konferenzen Vorträge zu den Themen „Hybride und multilinguale Literatur aus Belgien und Luxemburg”, „Literatur als Subversion”, „Literatur im Internet”, „Kollektives Schreiben”, „Adornos Moderne-Konzeption” und „Das Ruhrgebiet in der Literatur” gehalten. Diese Vorträge führten mich nach Sydney, Warschau, Antwerpen, Gent, Göttingen, Bochum und Duisburg. Es freut mich sehr, dass inzwischen zu einzelnen dieser Konferenzen Tagungsberichte erschienen sind, in denen auch die Thesen und Inhalte meiner Vorträge dargestellt werden.

Über meinen Vortrag auf dem Sydney Symposium 2009 zum Thema Collective Creativity, das vom 23.-26.07.2009 am Goethe Institut von Sydney in Australien stattfand, schreibt Anna König (Hinweis: Ich habe am Tagungsbericht mitgearbeitet, allerdings nicht an der Darstellung meines eigenen Vortrags):

„THOMAS ERNST (Luxembourg) questioned the claim that literature today does not have political effects. Continue reading

Zwischen Plagiat und Intertextualität: Helene Hegemann und die Literatur in der Wissensgesellschaft nach der digitalen Revolution

Die medialen Effekte der digitalen Revolution sind immens – und werden in den kommenden Dekaden noch weitere radikale Folgen mit sich bringen. Wie normal uns heute bereits eine mediale Umgebung mit all ihren Möglichkeiten erscheint, die vor 23 Jahren noch mühsam vom Fernsehen erschlossenen werden musste und wie eine Szene aus einem Science Fiction wirkte, ist kaum zu glauben. Die Verbindung einer Schreibmaschine mit einem PC wurde als Revolution gefeiert, die Speicherkapazität einer CD-Rom noch in Konversationslexika-Bänden aufgerechnet, ein schnurloses Telefon kostete 1700 Mark und der Moderator sprach von einer ‚Tastatatur’… Doch sehen Sie selbst, wie es bei der Computermesse CEBIT ´87 aussah:

Dieses Video werde ich bald als Ausgangspunkt eines Vortrags verwenden, den ich in Göttingen halten werde. Die Folgen der digitalen Revolution für das Feld der Literatur werden nämlich auf der von Heinz Ludwig Arnold, Matthias Beilein, Claudia Stockinger und Simone Winko organisierten Konferenz Wertung, Kanon und die Vermittlung von Literatur in der Wissensgesellschaft thematisiert, auf der ich am Sonntag, 7.2., um 14 Uhr, zum Thema Wer hat Angst vor Goethes Pagerank? Die digitale Distribution von Literatur und die Aufmerksamkeitsökonomie des Internets sprechen werde. Continue reading

Online-Petition zu Open Access – das Kind mit dem Bade?

Vor einiger Zeit habe ich mich ausführlich mit den Folgen des digitalen Zeitalters für die Literatur, die Wissenschaft und ihre Veröffentlichungspraxis beschäftigt und einige Resonanz auf meinen Kulturrevolutionären Appell erhalten. Aktuell gewinnt das Thema weitere Brisanz, da dem Deutschen Bundestag die Petition Wissenschaft und Forschung – Kostenloser Erwerb wissenschaftlicher Publikationen vorgelegt worden ist, die den Bundestag davon überzeugen will,

“dass wissenschaftliche Publikationen, die aus öffentlich geförderter Forschung hervorgehen, allen Bürgern kostenfrei zugänglich sein müssen.”

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Fußball als Kunst und der Homo ludens

Zeiten der Krise können auch Zeiten der grundsätzlichen Reflexion sein – und der Fußballsport steht den öffentlichen Debatten über Leistungsdruck, Depressionen, Spielsucht und Wettskandale momentan sehr ohnmächtig gegenüber. Mir lief in den letzten Tagen zufällig ein kleiner Videoclip über den Weg, der mich noch einmal an meine naive kindliche Fußballleidenschaft erinnerte, die die komplexen Probleme der realen Welt so unwichtig erschienen ließ.

Die herausragende Szene des Films Werner Beinhart (1990), der mit seinen 5,5 Millionen Besuchern bis heute einer der erfolgreichsten deutschen Filme ist, ist das legendäre Fußballspiel zwischen dem 1.FC Süderbrarup und Holzbein Kiel, das allerdings nicht im Stadion ausgetragen wird, sondern auf einem Marktplatz. Doch schauen Sie selbst (und verpassen Sie nicht die wunderbaren Zeilen: “Ich guck noch mal in die Flasche, wie spät das ist.” und “Mit schwarzen Punkten? Ischa merkwürdig!”)!

Wenn ein Merkmal der historischen Avantgarde die Dekonstruktion der kulturellen Alltagsgrammatik durch das künstlerische Spiel war: Ist das nicht Avantgarde? Und ist dann Polizist Bruno mit seinem Satz: “Halt, der Ball ist verhaftet!” nicht ein Agent der bösen Macht, die resignifiziert gehört? Und wäre es eigentlich denkbar, dass eine solche Befreiung des Homo ludens nicht nur im Zeichentrick, sondern auch real stattfände?

Nun, vor kurzem berichtete die Süddeutsche Zeitung über Remi Gaillard, einen Clown, der sich am Fernsehen rächt, der seinen Job als Schuhverkäufer verlor und seither als ebenjener Homo ludens reüssiert, der in Werners Welt der 1990er Jahre nur im Zeichentrick funktioniert. Das Internet macht es möglich, dass Gaillard – dessen Motto C’est en faisant n’importe quoi qu’on devient n’importe qui! (Indem man irgendetwas macht, wird man irgendwer!) lautet – heute ein Portal pflegt, auf dem er seine Videos zum kostenlosen Download anbietet – und darüber seine Berühmtheit erlangt hat. Doch sehen Sie selbst:

In Ordnung: Sowohl bei Werner Brösel als auch bei Remi Gaillard funktioniert das Spiel nur als eine Faszination an der penetrativen Ballflugschneise – die sexistischen Motive werden in beiden Filmen kaum verleugnet, pfui! Aber gleichzeitig lassen uns beide Filme ahnen, was der Fußballsport und auch unser Alltag einmal hätten sein können, bevor sich Joseph Blatter und Angela Merkel der Sache angenommen haben: Spielerisch, lustig und schön.

“Ich bin ein kleiner Junge und werde immer einer bleiben”, erklärt Gaillard im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Ja, möchte man rufen, so lange die Türen der Polizeiwachen und Ministerien noch offen stehen und wir noch einen Ball haben, ist noch nichts verloren. Anstoß!

Kulturrevolutionärer Appell. Für eine Nutzung der digitalen Publikationsmöglichkeiten und die produktive Koexistenz von Buchkultur und Internet

Wir erleben seit einigen Jahren den Beginn eines digitalen Zeitalters, das bereits weitreichende Folge für alle anderen Medien – wie Buch, Fernsehen, Fotografie – hat und in Zukunft noch größere haben wird. Als Literaturwissenschaftler und Autor hat mich in den vergangenen Monaten geärgert, wie einerseits die ‘Netzenthusiasten‘ im Sinne einer naiven Utopie suggerieren, dass mit einem neuen Medium wie dem Internet zugleich auch alles besser werde, und wie andererseits die Verteidiger der analogen Medienwelt so tun, als könne man dem digitalen Zeitalter entweichen und irgendwie doch noch den medialen Status quo bewahren.

Viele meiner liebsten, klügsten und besten Kolleginnen und Kollegen aus der literaturwissenschaftlichen Welt haben in letzterem Sinne den Heidelberger Appell unterzeichnet, den wiederum seine Online-Kritiker als “haarsträubend wie gefährlich” (Matthias Spielkamp) oder auch “feudalistisch” (Peter Glaser) brandmarken. Wenn man sich mit einzelnen Appell-Unterzeichnern ausführlicher unterhält, wird schnell deutlich, dass die dichotomische Gegenüberstellung von Buch versus Internet, geistigem Eigentum versus digitaler Kopie, Freiheit der Forschung versus Open Access sowie die Verschmelzung von Google und Open Access zu einem gemeinsamen Feind auch von vielen Unterzeichnern selbst kritisch gesehen wird.

Tatsächlich mag der Heidelberger Appell mit seinen starken und unversöhnlichen Thesen wichtig gewesen sein, um in den aktuellen Debatten mit Getöse auch die (im Medienverbund ansonsten bereits zu schwachen?) Stimmen der Literaten und Literaturwissenschaftler erklingen zu lassen. Wohin aber soll uns das in the long run führen? Schließlich beschäftigt uns alle schon in der Gegenwart nicht die Frage, ob wir die Buchkultur oder die digitalen Medienangebote nutzen, sondern wie wir diese beiden Optionen sinnvoll miteinander verbinden bzw. nebeneinander stellen. Dies scheint mir die eigentliche und zukunftsträchtige Frage zu sein.

Aus diesem Grunde habe ich für die jüngste Ausgabe der von den Literaturwissenschaftlern und Professor/inn/en  Jürgen Link (Dortmund), Rolf Parr (Bielefeld) und Marianne Schuller (Hamburg) herausgegebenen Zeitschrift kultuRRevolution. zeitschrift für angewandte diskurstheorie (Heft 57, Oktober 2009: mit dem Schwerpunkt “Warum kein Widerstand?” ohnehin sehr interessant!) einen längeren Aufsatz mit dem Titel Das Internet und die digitale Kopie als Chance und Problem für die Literatur und die Wissenschaft. Über die Verabschiedung des geistigen Eigentums, die Transformation der Buchkultur und zum Stand einer fehlgeleiteten Debatte geschrieben (zum Download des Aufsatzes als PDF bitte auf den Aufsatztitel klicken! Ich danke David Link für die grafische Gestaltung!). Darin unternehme ich – vor dem Hintergrund des historischen und medientheoretischen Wissens der kulturwissenschaftlichen Germanistik – den Versuch, die Buchkultur und die digitale Welt in ihren Stärken und Schwächen miteinander zu versöhnen und die durch den Heidelberger Appell evozierte dichotomische Debatte zu differenzieren. Konkret versuche ich zu zeigen,

  • warum der Heidelberger Appell eine überfällige Debatte verhindert;
  • warum Medienumbrüche schon immer ein diskursives Ereignis waren und die aktuellen Debatten um das Internet im historischen Rückblick auf die Durchsetzung des Buchzeitalters gar nicht so neu sind;
  • dass der Begriff des ‘geistigen Eigentums’ heute obsolet ist und nur noch als rhetorischer Kampfbegriff genutzt wird;
  • inwiefern Buchverlage, Wissenschaftler und ‚Geistesaristokraten’ (auch) als Besitzstandswahrer agieren;
  • dass der Kampf gegen die Vorherrschaft Googles notwendig ist;
  • warum ein neues Urheberrecht und Open Access wichtig sind;
  • welche Chancen und Probleme das Internet und die digitale Kopie für die Literatur und die Wissenschaft mit sich bringen.

Die historischen Betrachtungen und die Differenzierung der Gegenwart münden schließlich in einen Kulturrevolutionären Appell, benannt nach dem Publikationsort und dem erhofften Effekt des Beitrags, der wie folgt aussieht:

“Kulturrevolutionärer Appell. Für eine Nutzung der digitalen Publikationsmöglichkeiten und die produktive Koexistenz von Buchkultur und Internet

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Subversiv Messe Linz (II): Immigration Rights and Copyrights

Weil die Tagesthemen so traurig berichten, fühle ich mich noch zum Verweis auf eine erfrischende Performance verpflichtet, die in Linz in französischer Sprache mit englischer Übersetzung zu sehen war und das strikt gehaltene Einwanderungsrecht mit dem im Sinne der Kulturindustrie freundlichst gebeugten Urheberrecht zusammenführt. Die Performance X and Y versus France ist eine Gemeinschaftsaktion der Künstler und Juristen Patrick Bernier, Olive Martin, Sébastien Canevet, Sylvia Preuss-Laussinotte aus Frankreich. Ein Auszug aus ihrer Projektbeschreibung liest sich wie folgt:

The project evolved out of a short novel written by Patrick Bernier in 2004 entitled A Tale for Creating a Legal Precedent, in which a foreign woman defends her right to reside in France in front of a judge, arguing that she is the co-author, guardian, and performer of an intangible art work.

Considering that French and EU lawmakers are constantly restricting immigrants’ rights on the one hand, and zealously expanding the domain of copyright on the other hand, Bernier and Martin set out to make their fictional scenario a template for real social action. With Sebastien Canevet and Sylvia Preuss-Laussinotte, two lawyers specialising respectively in intellectual property rights and immigrants’ rights, they developed a legal argument intended to be used by undocumented migrants and their legal representatives.

Mal sehen, was geschieht, wenn sie die Probe aufs Exempel machen…

Downloads: Die Erfindung des geistigen Eigentums. Ein Vortrag zur aktuellen Debatte um das Urheberrecht

Im August 2008 verfasste ich einen Abstract für einen Vortrag über das Verhältnis von Bildung und Urheberrecht um 1800, den ich auf einer Konferenz der altehrwürdigen Leuvener Universität zum Thema Matters of State: Bildung and Literary-Intellectual Discourse in the Nineteenth Century halten wollte. Damals ahnte ich noch nicht, dass die deutschen Feuilletons und die Geisteswissenschaften heute – ausgehend vom sog. Heidelberger Appell vom März 2009 – in heftigste Auseinandersetzungen über die Bewahrung versus Modifikation des Urheberrechts, die Möglichkeiten versus Probleme des Internets und das Ende versus die Transformation der Gutenberg-Galaxis eingetreten wären. Wie erfreulich, dass wissenschaftliche Vorträge manchmal eine aktuelle Relevanz erhalten können – und dass meine Beschäftigung mit einem der ‘Erfinder’ des ‘geistigen Eigentums’ und somit indirekt des Urheberrechts, Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), einen direkten Beitrag zur Debatte liefern kann.
Meinen 26minütigen Vortrag habe ich am 24. April 2009 in Leuven gehalten, er kann als

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Der Vortrag zeigt, dass man es sich zu leicht macht, wenn man angesichts der sich radikal wandelnden Medienverhältnisse unter Negierung der digitalen Möglichkeiten einfach für die Beibehaltung des rechtlichen und medialen Status quo wirbt. Noch problematischer wird es zudem, wenn man sich auf Fichte als den scheinbaren intellektuellen Garanten eines Beweises der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks (bzw. heute ihrer Digitalisierung) beruft. Sowohl bei Fichte als auch in den aktuellen Debatten um das Urheberrecht ist immer alles komplizierter als man zunächst glauben mag. Aus meiner Fichte-Lektüre leite ich u.a. die folgenden drei Ergebnisse ab:

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Tipp: “Digitale Notizen” von Dirk von Gehlen

Das Blog des jetzt.de-Chefs Dirk von Gehlen, ohne dessen freundschaftliche Unterstützung auch dieses Blog kaum existierte (Nochmals danke!), steht unter dem Titel Digitale Notizen. Es sind jedoch mehr als bloße Notizen, die Freund und Kollege Dirk von Gehlen uns präsentiert: neben zahlreichen Fundstücken aus den Bereichen Musik, Literatur und Sport beschäftigt er sich intensiv mit dem Verhältnis von Netzkultur und Zeitung. Innerhalb des aktuellen Medienwandels serviert er höchst interessante Reflexionen zur Bedeutung des Mediums Internet und vor allem zum daraus resultierenden Wandel unseres Begriffs von geistigem Eigentum. Dies mögen einige Zitate belegen, die er programmatisch auf seinem Blog präsentiert:

Cory Doctorow:

Kopieren wird immer leichter. Wenn man Kunst macht, die nicht kopiert werden soll, dann tut man etwas, das von Natur aus anachronistisch ist. Continue reading

Das Buch: SUBversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart

Vor kurzem ist der Band SUBversionen. Zum Verhältnis von Politik und Ästhetik in der Gegenwart beim transcript Verlag erschienen. Eine Rezension des Deutschlandradio Kultur stellt fest, der Band liefere “pointierte Sichtweisen auf das Thema”, seine Beiträge seien “sehr einsichtig” (Sendung Breitband, 5.7.2008). Auf den Seiten des transcript Verlags können Sie inzwischen das Inhaltsverzeichnis des Bandes und eine Textprobe bzw. das Einführungskapitel downloaden und einsehen. Weitere Informationen zum Buch finden Sie auch auf diesen Seiten.

Im Einführungskapitel formulieren die HerausgeberInnen Thomas Ernst, Patricia Gozalbez Cantó, Sebastian Richter, Nadja Sennewald und Julia Tieke das Ziel des Buches wie folgt: Continue reading