How bizarr: Kernkompetenzen, Emotionen und die Bundestagswahl 2009

Kurz vor der Bekanntgabe der Bundestagswahl-Ergebnisse soll hiermit noch kurz an die Option der künstlerischen Um- oder Überformung der politischen Rituale erinnert werden. In brillanter und höchst unterhaltsamer Weise führen dies beispielsweise die Kandidaten der (Titanic-)Partei Die Partei vor – an vorderster Front der Partei-Vorsitzende (und ehemalige Titanic-Chefredakteur) Martin Sonneborn oder auch der Partei-Spitzenkandidat zur Hamburger Senatswahl 2007, Heinz Strunk.

Meine Lieblingssätze aus Heinz Strunks famoser Wahlrede sind die Folgenden:
1. „Fakten unterfüttert mit Emotion ergibt Kernkompetenz.”
2. „Hedgefonds ist kein Streichelzoo.”
3. „Wir sehen Hamburgs wirtschaftliche Zukunft nicht im Bergbau.”

Doch sehen Sie selbst:

Downloads: …und draußen tobt die Dunkelziffer. Kathrin Röggla im Gespräch

Kathrin Röggla gewann zuletzt u.a. den Bruno-Kreisky-Preis für das Politische Buch (2005) und den Preis der SWR-Bestenliste (2004), zu ihren wichtigsten Veröffentlichungen zählen abrauschen (1997), irres wetter (2000) und wir schlafen nicht (2004). 2006 wurde sie mit ihrem Stück draußen tobt die dunkelziffer zu den Mülheimer Theatertagen eingeladen, das sich mit Privatinsolvenzen und Schuldnerberatungen beschäftigt. Aus diesem Grunde führte ich für die Festivalzeitschrift Stück für Stück ein Interview mit ihr, das unter dem Titel Eine interessante Krise. Kathrin Röggla im Gespräch über kapitalistische Knoten, subversive Strategien und antisemitische Ausdrücke erschien. Darin äußerst sie sich auch über die – allerdings eingeschränkte – Aktualität der Marxistischen Kapitalismuskritik:

Schon Marx hat eine Tendenz zur Monopolisierung im Kapitalismus beschrieben, und da liegt er ja heute ganz richtig. Allerdings denke ich nicht teleologisch, zum Beispiel im Sinne einer sich notwendig ergebenden gerechteren Welt, aber auch nicht in dem Sinne, dass der Kapitalismus nur eine zyklische Krise erlebt und gestärkt hervorgeht. Diese Krise zu beschreiben interessiert mich, sowie die Widerstandskämpfe, die sich natürlich ständig verändern.

Das gesamte Interview kann nun abgerufen werden (Quelle: Stück für Stück 7/2006, S. 3). Auf der rechten Seite findet sich das Interview, auf der linken Seite eine Zusammenfassung der Publikumsdiskussion über das Stück.

Een Eva die Gustav heet en een ‘Abgesang’ op ‘Wintervögelchen’

Gisteren heb ik het stuk Wintervögelchen van Jan Decorte op het theaterfestival ´09 in Brussel gezien. Het stuk was: Naja.

Maar een ontdekking was wel het beginnende lied van Gustav waarachter Eva Jantschitsch uit Wenen staat die – naar haar vaders wil – eigenlijk een „Gustav” en dus een man had moeten worden. In Abgesang zingt Gustav:

ich habe beschlossen
ich gehe konform
ich stelle mich richtig
und entspreche der norm

Reisebilder Australien (2): Comedy down under…

Nun ja, wenn man ‘down under’ lebt, ist man schon irgendwie lustig. Wie heißt es noch so schön bei den Men at Work:

I come from a land down under
Where beer does flow and men chunder
Can’t you hear, can’t you hear the thunder?
You better run, you better take cover.

Neben den zahlreichen positiven Erfahrungen, die ich in New South Wales machen durfte, zu denen nicht nur äußerst angenehme Begegnungen zählen, sondern beispielsweise auch der Besuch im idyllischen Nationalgebiet des Hawkesbury River, lernte ich ebendort, dass nicht nur in Deutschland die Macher schlechter Comedy in freier Wildbahn ihr Unwesen treiben. Doppelklickst und guckst Du hier, was man aus ‘Hawkesbury River Arts’ so alles machen kann:

Australien, Hawkesbury River, Juli 2009

Australien, Hawkesbury River, Juli 2009

Reisebilder Australien (1): Wo ist hier?

Bin gerade in Australien, vorrangig für eine Tagung zum Thema Collective Creativity. Kurze Zwischenmeldung von der Bondi Beach in Sydney, gesprochen „Bonn-Dai-Bietsch”. Hätte gerne gewusst, what and where I am. Eine Bodenmarkierung von Bondi Beach told me: You are here. Schön, wie einfach das Leben manchmal sein kann. Erinnerte mich an das Album Wo ist hier? von Die Sterne und ihren Song Solangehierunterwegs:

Wir sind so lange hier
unterwegs
Wir sind so weit weg
Wo ist hier

Australien, Sydney, Bondi Beach, Juli 2009

Downloads: Ingeborg Bachmann: Mit dem Gesicht auf der brennenden Herdplatte

Zu Ingeborg Bachmanns 80. Geburtstag lud mich die Redaktion von jetzt.de ein, für die nachwachsende Leserschaft der Süddeutschen Zeitung ein kleines Portrait der großen Autorin zu schreiben. Somit erfreute ich mich noch einmal an einigen Texten der Namensgeberin des Ingeborg-Bachmann-Preises, durch dessen strenge Inszenierungen der deutschsprachige Literaturnachwuchs jährlich zurechtgequetscht wird. Besondere Freude macht mir noch immer ihr Roman Malina:

In Malina erzählt eine weibliche Ich-Erzählerin, die zwischen den Männern Ivan und Malina steht, vom Scheitern ihrer Bemühungen, innerhalb der Ordnungsmuster einer von Männern beherrschten Welt eine eigene Identität zu entwickeln. Am Ende heißt es: ‚Ich muß aufpassen, daß ich mit dem Gesicht nicht auf die Herdplatte falle, mich selber verstümmle, verbrenne, denn Malina müßte sonst die Polizei und die Rettung anrufen, er müßte die Fahrlässigkeit eingestehen, ihm sei da eine Frau halb verbrannt. Ich richte mich auf, glühend im Gesicht von der rotglühenden Platte, auf der ich nachts so oft Fetzen von Papier angezündet habe, nicht etwa um etwas Geschriebenes zu verbrennen, sondern um Feuer zu bekommen für eine letzte und allerletzte Zigarette.’ Der letzte Satz des Buches, den seine Ich-Erzählerin nicht überlebt, lautet: ‚Es war Mord.’

Der komplette Text wurde erstveröffentlicht am 23.6.2006 und kann noch immer auf den Seiten von jetzt.de abgerufen werden.

Subversiv Messe Linz (II): Immigration Rights and Copyrights

Weil die Tagesthemen so traurig berichten, fühle ich mich noch zum Verweis auf eine erfrischende Performance verpflichtet, die in Linz in französischer Sprache mit englischer Übersetzung zu sehen war und das strikt gehaltene Einwanderungsrecht mit dem im Sinne der Kulturindustrie freundlichst gebeugten Urheberrecht zusammenführt. Die Performance X and Y versus France ist eine Gemeinschaftsaktion der Künstler und Juristen Patrick Bernier, Olive Martin, Sébastien Canevet, Sylvia Preuss-Laussinotte aus Frankreich. Ein Auszug aus ihrer Projektbeschreibung liest sich wie folgt:

The project evolved out of a short novel written by Patrick Bernier in 2004 entitled A Tale for Creating a Legal Precedent, in which a foreign woman defends her right to reside in France in front of a judge, arguing that she is the co-author, guardian, and performer of an intangible art work.

Considering that French and EU lawmakers are constantly restricting immigrants’ rights on the one hand, and zealously expanding the domain of copyright on the other hand, Bernier and Martin set out to make their fictional scenario a template for real social action. With Sebastien Canevet and Sylvia Preuss-Laussinotte, two lawyers specialising respectively in intellectual property rights and immigrants’ rights, they developed a legal argument intended to be used by undocumented migrants and their legal representatives.

Mal sehen, was geschieht, wenn sie die Probe aufs Exempel machen…

Subversiv Messe Linz (I): Von Kanak Attak bis zur Kommunikationsguerilla und zurück

Da sich unser Sammelband SUBversionen (2008) sowie meine Dissertation über Literatur als Subversion, die 2010 erscheinen wird, mit Konzepten der Subversion befassen, wurde ich kürzlich zur Subversiv Messe nach Linz eingeladen, die im Rahmen des dortigen europäischen Kulturhauptstadtjahres stattfand. Ich habe dort einen kurzen Vortrag über meinen Begriff von Subversion gehalten, mich aber vor allem darüber gefreut, die Projektpräsentationen der wunderbaren Gruppen Ärzte ohne Ängste (D), Autonome a.f.r.i.k.a. Gruppe (D) mit ihrem Handbuch der Kommunikationsguerilla, Kanak Attak (D), monochrom (A) und Ubermorgen (A/CH/USA) sehen zu dürfen, die ich in jeder Hinsicht nur empfehlen kann.

Dass das mainstreamige ARD-Format Tagesthemen – selbst wenn es einen freundlichen Bericht zeigen will – über nicht eine dieser Gruppen berichtet, sondern wieder mal die eher schnöderen, aber im Redaktionsduktus vermutlich ‚visuell überzeugenderen’ Beiträge subsummiert, sagt einiges über das Medium Fernsehen, in dem die Nachrichten der öffentlich-rechtlichen Sender sogar eher noch zur Güteklasse gehören.

Wie subversiv ist eigentlich Caren Miosga? Zur Beantwortung dieser Frage schaue man sich folgenden Beitrag an:

Anekdoten: Trier und das Ruhrgebiet

Im Jahre 2010 wird Essen, stellvertretend für das Ruhrgebiet, als Kulturhauptstadt Europas fungieren. Dass eine Jugend im Ruhrgebiet einige spezifische Deformationen mit sich bringt, wurde mir erst bewusst, als ich mich für längere Zeit auch an anderen Orten aufhielt. Unter anderem widerfuhr mir folgende Geschichte:

Ich war gerade aus dem Ruhrgebiet nach Trier umgezogen, da lief ich mit einer Bekannten durch eine angenehme Frühlingsnacht. „Hm”, sagte ich und schnüffelte, „das riecht ja schon nach Frühling.” – „Naja”, meinte sie, „wohl doch eher verbrannt.” Was so eine Jugend im Ruhrgebiet doch mit deinem Geruchssinn anstellen kann!

Aus: Titanic. Das endgültige Satiremagazin. Heft 9 (2005), S. 39.

Downloads: Die Erfindung des geistigen Eigentums. Ein Vortrag zur aktuellen Debatte um das Urheberrecht

Im August 2008 verfasste ich einen Abstract für einen Vortrag über das Verhältnis von Bildung und Urheberrecht um 1800, den ich auf einer Konferenz der altehrwürdigen Leuvener Universität zum Thema Matters of State: Bildung and Literary-Intellectual Discourse in the Nineteenth Century halten wollte. Damals ahnte ich noch nicht, dass die deutschen Feuilletons und die Geisteswissenschaften heute – ausgehend vom sog. Heidelberger Appell vom März 2009 – in heftigste Auseinandersetzungen über die Bewahrung versus Modifikation des Urheberrechts, die Möglichkeiten versus Probleme des Internets und das Ende versus die Transformation der Gutenberg-Galaxis eingetreten wären. Wie erfreulich, dass wissenschaftliche Vorträge manchmal eine aktuelle Relevanz erhalten können – und dass meine Beschäftigung mit einem der ‘Erfinder’ des ‘geistigen Eigentums’ und somit indirekt des Urheberrechts, Johann Gottlieb Fichte (1762-1814), einen direkten Beitrag zur Debatte liefern kann.
Meinen 26minütigen Vortrag habe ich am 24. April 2009 in Leuven gehalten, er kann als

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Der Vortrag zeigt, dass man es sich zu leicht macht, wenn man angesichts der sich radikal wandelnden Medienverhältnisse unter Negierung der digitalen Möglichkeiten einfach für die Beibehaltung des rechtlichen und medialen Status quo wirbt. Noch problematischer wird es zudem, wenn man sich auf Fichte als den scheinbaren intellektuellen Garanten eines Beweises der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks (bzw. heute ihrer Digitalisierung) beruft. Sowohl bei Fichte als auch in den aktuellen Debatten um das Urheberrecht ist immer alles komplizierter als man zunächst glauben mag. Aus meiner Fichte-Lektüre leite ich u.a. die folgenden drei Ergebnisse ab:

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